In
seiner ersten Einzelausstellung bei Marion Scharmann zeigt der Künstler
Sven Weigel (*1982) neue Werke in den Medien Fotografie, Skulptur und
Installation. Seine auratischen Werke erscheinen im Raum geisterhaft
und greifbar zugleich. Die Arbeiten thematisieren den Ort zwischen
Sender und Empfänger und versuchen Leerstellen zu beschreiben.
Eine Leerstelle steht für etwas Abwesendes, etwas Erwünschtes oder Erwartetes, für das Unsagbare oder das Unbeschreibliche. Die Arbeit »In Masken geht die Zeit V« umreißt in Linien das Aufnahmefeld einer Videokamera und markiert somit eine Leerstelle, die alle möglichen Variablen enthält, welche die Kamera einfangen könnte, um sie aus dem Ganzen zu filtern, sie wie auf einer Bühne zu inszenieren.
Auf eine Stelle verweist auch der zeigende Finger auf der Arbeit »In Masken geht die Zeit IV«. Gleichzeitig mutet die Zweiteilung des Bildes wie eine Kulisse an, aus welcher der Finger seitlich aufzutauchen scheint. Das Inszenatorische und die Idee einer Bühne sind zentrale Begriffe für Sven Weigel. Der zunächst leere Schauplatz wird bespielt und angefüllt mit Energie und Spannung.
Das Werk »In Masken geht die Zeit IV« erinnert durch den deutenden Finger auch an den ungläubigen Thomas, der auf die Wunde Christi zeigt, seinen Augen, seinem Sehsinn jedoch nicht vertraut. Er muss die Wunde mit dem Finger, mit seinem Tastsinn berühren, nur dann glaubt er, was er sieht. Das traditionelle Thema um das Vertrauen auf den Sehsinn oder den Tastsinn, die Dichotomie zwischen Bild und Körper, keimt in den Werken von Sven Weigel auf, ebenso wie jene zwischen Körper und Seele, Realität und Übersinnlichem, Flächigkeit und Dreidimensionalität, An- und Abwesenheit.
Der zeigende Finger ist denn auch medientheoretisch zu verstehen, da er ebenfalls auf die der analogen Fotografie inhärenten Indexikalität deutet – der Verweis auf den abgelichteten Referenten, der auf der Fotografie anwesend, doch real abwesend ist.
Die Allegorie der fünf Sinne war ein beliebtes Thema der Kunst, besonders in der Holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Sven Weigel visualisiert und verbindet in dieser Ausstellung drei dieser fünf Sinne – Hören, Sehen und Tasten. Gleichzeitig verweisen diese Sinne auf das Modell Sender und Empfänger, wobei sich Sven Weigels Werke nicht so sehr um den Austausch von Worten, sondern vielmehr um den Austausch von Energie und Spannung drehen. In der Fotografie »In Masken geht die Zeit II« visualisiert der Künstler das Modell Sender – Empfänger durch die Verknüpfung einer Vase mit einem Ohr. Das Echo als Gestalt. Für Sven Weigel ist die Vase besonders als Resonanzkörper interessant – sie kann gefüllt werden mit Schwingung, ebenso wie das Ohr Klang und Schwingung aufnimmt. Ein Energieaustausch findet statt. Schon 2009 führte der Künstler dies in seiner Arbeit »Mirror Pool« in einer Art experimentellen Versuchsanordnung vor.
Eine Vase ist ein Behältnis, im Allgemeinen für Blumen. Sie ist ein Objekt, das ein anderes in Pose setzt, vergleichbar einem Rahmen oder einem Sockel in der Kunst. Das Nebenprodukt, das niemand wahrnimmt, da es nur im Dienste und somit im Schatten des ›wahren‹ Kunstwerkes existiert, das es zu exponieren gilt. Die Vase, genau wie der Sockel, ist also ebenfalls eine Art Bühne.
»In Masken geht die Zeit VII« ist der Titel einer Installation bestehend aus einer Fotografie, einem Sockel und einer Haube über einem Lautsprecher. Die Fotografie zeigt ebenfalls einen Sockel mit einem darüber hängenden Bild, doch auch eine Vase ist darauf zu sehen, die auf dem realen Sockel somit zu fehlen scheint. Der leere Sockel fungiert wie ein Einstieg ins Bild. In der Fotografie scheint die abgebildete Vase ebenso in das Bild hinter ihr einzusteigen. Raum und Bild, Drei- und Zweidimensionalität, Bild und Objekt verschmelzen miteinander. Der Sockel im Raum ist leer und die Abwesenheit macht die Anwesenheit der Dinge umso greifbarer.
Der Lautsprecher wird von einer Glashaube umhüllt – dadurch zum einen in ein ›Präsentationslicht‹ gerückt, zum anderen scheint die Glashaube den imaginären Klang einschließen zu wollen. Es ist absurd, denn Schall würde sich über die Grenzen der Glashaube hinaus weitertragen, doch in Sven Weigels Anordnung bleibt der Klang scheinbar gefangen. Der Künstler stellt damit nicht zuletzt die Frage nach den Grenzen von Körpern und Objekten. Liegt die Grenze im sichtbaren Umriss oder ist jedes Objekt von einer Aura umgeben?
»Modell für einen Wegstein« nennt Sven Weigel seine Ausstellung, genau wie das Werk, das im hinteren Teil der Ausstellung zu sehen ist: ein schmaler Sockel, der das Modell eines Steines präsentiert. Kein dreidimensioinales Objekt ist auf dem Sockel zu sehen, sondern nur noch das körperlose Abbild eines Steines, das flach auf dem Sockel klebt. Im Werk »In Masken geht die Zeit VI« findet die Umkehrung statt. Das Bild eines Auges liegt plan auf dem Boden – der Sockel ist verschwunden und der imaginäre Sockel beschreibt seine Abwesenheit. In der Arbeit »In Masken geht die Zeit I« wird der Sockel zum Motiv, der magisch im Bild zu schweben scheint, ebenso wie die Tische in »In Masken geht die Zeit III«.
Ein Wegstein ist eine Markierung auf einem Weg. Diese alleine kann jedoch nur einen einzigen Ort markieren, erst durch einen zweiten Punkt entsteht ein Weg. Sven Weigel spricht sogar nur vom ›Modell« des Wegsteins, also nur von einer Skizze, einer Versuchsanordnung, somit vom absolut ersten Schritt auf einem einzuschlagenden Weg.
Der Künstler hat an der Akademie in Düsseldorf bei Rosemarie Trockel studiert und lebt in Berlin.